Lange kontinentale Sedimentfolgen, insbesondere Seeablagerungen, eignen sich hervorragend als Archive zur Rekonstruktion der Paläoökologie und des Paläoklimas. Deshalb sind sie auch spezielle Ziele des Internationalen Kontinentalen Tiefbohrprogramms (International Continental Scientific Drilling Program - ICDP). Allerdings sind ungestörte, kontinuierliche Folgen sehr selten, insbesondere auch im Nahen Osten.
Der Vansee - auf dem ostanatolischen Hochplateau in der Türkei gelegen - besitzt eine Oberfläche von 3.520 km2, ein Volumen von 575 km3, eine maximale Tiefe von 450 m und eine Länge von 130 km WSW-ENE. Er ist der viertgrößte Endsee und der größte Sodasee der Welt. Innerhalb einer klimatisch sensitiven Region gelegen, repräsentiert er ein erstklassiges kontinentales Klimaarchiv zwischen Schwarzem Meer, Arabischer See und Rotem Meer. Ein internationales Team unter Leitung des Autors initiierte deshalb das PALEOVAN-Projekt im Rahmen des ICDP. Als wissenschaftliche Zielstellung des multidisziplinären Projektes stehen folgende Themen im Mittelpunkt:
1) Multiproxy-Analyse eines langen kontinentalen Paläoklimaarchivs in einer sensitiven semiariden Region
2) Rekonstruktion der Dynamik von Seespiegelschwankungen und des hydrologischen Regimes
3) Entstehung des Vansees
4) Untersuchung und Interpretation von organischem Gehalt und von Biomarkern im Sediment als paläoökologische Proxies
5) Bestimmung von Edelgaskonzentrationen im Porenwasser der Seesedimente zur Analyse des terrestrischen Fluidtransportes
6) Analyse des regionalen Vulkanismus
7) Rekonstruktion von seismischer Aktivität in der Vergangenheit
8) Mikrobiologische Aktivität im Sediment
Während der erfolgreichen ICDP-Bohrkampagne im Sommer 2010 wurden an zwei Schlüssellokalitäten mehrere tiefe Bohrungen abgeteuft. An der für paläoklimatologische Untersuchungen wichtigsten Lokalität, dem sog. Ahlat-Rücken (Wassertiefe ~360 m), konnte ein lückenloses, 220 m mächtiges Sedimentprofil erbohrt werden (siehe Gmit 2012).
Mittlerweile sind die multidisziplinären Forschungsarbeiten an den Kernen so weit fortgeschritten, dass erste Ergebnisse, die in 10 Beiträgen dokumentiert wurden, in einem Sonderband der internationalen Zeitschrift „Quaternary Science Reviews“ Ende des Jahres erscheinen werden (s.u.).
In einem einführenden Artikel geben Litt und Anselmetti als Gasteditoren des Sonderbandes einen Überblick über das PALEOVAN-Projekt, den Verlauf der Geländearbeiten sowie über den Inhalt des Sonderbands.
Die Chronologie der Sedimentfolge vom Vansee wird von Stockhecke et al. diskutiert. Für das Altersmodell wurden XRF-Messungen, organischer Kohlenstoff und Pollen als Proxies genutzt und mit grönländischen bzw. antarktischen Eiskern sowie mit marinen Isotopenstadien synchronisiert. Das Altersmodell wird durch acht unabhängige Ar/Ar-Datierungen an Tufflagen gestützt. Auch der Vergleich der relativen Paläointensität des magnetischen Feldes mit der Referenzkurve (PISO-1500) sowie die Identifikation des Laschamp- und Blake-Events in den Sedimenten des Vansees durch Vigliotti et al. erhöhen die Genauigkeit des Altersmodells, wonach die lakustrinen Ablagerungen des Vansees insgesamt 600.000 Jahre umfassen.
Die pollenanalytischen Daten im Beitrag von Litt et al. zeigen eindrucksvoll den markanten Wechsel zwischen Glazialen und Interglazialen bzw. Stadialen und Interstadialen. Neben dem Holozän konnten sechs weitere Warmzeiten durch eine charakteristische thermophile Waldsteppenvegetation identifiziert werden (MIS 5, 7, 9, 11, 13 und 15), während in den Kaltzeiten Steppen und Wüstensteppen dominieren.
Die Struktur und Dynamik der letzten vier Terminations aus dem Vansee-Rekord wurden detailliert durch Kwiecien et al. studiert. Ein interessantes Muster ist das kohärente Szenario beim Glazial/Interglazial-Wechsel zwischen relativ trockenen kaltzeitlichen und relativ feuchten warmzeitlichen Bedingungen, die sich in verschiedenen biotischen und abiotischen Proxies widerspiegeln.
In einem weiteren paläoökologischen Beitrag des Sonderbands präsentieren Randlett et al. die Verteilung von Alkenonen im Sedimentrekord vom Vansee. Überdies wird die Artenzusammensetzung haptophyter Algen mittels fossiler DNA identifiziert, um den Effekt der zeitlichen Veränderung der Artenkombination auf die Alkenonverteilung und damit auf die Paläotemperatur zu bestimmen.
Seismische Daten wurden bereits im Vorfeld der tiefen ICDP-Bohrungen gesammelt und interpretiert, um geeignete Lokalitäten zu identifizieren. Im QSR-Sonderband wird eine detaillierte seismische Stratigraphie und Faziesanalyse sowie seismische Kernkorrelation durch Cukur et al. präsentiert. Die Daten dienen auch als Basis zur Erfassung der großskaligen sedimentologischen Evolution des Vanseebeckens.
Petrophysikalische und geochemische Signaturen der lakustrinen Sedimente und vulkanischen Ablagerungen vom Ahlat-Rücken wurden durch Wireline Logs von Baumgarten et al. untersucht. Die Studie ermöglicht die Identifikation von lithologischen Abfolgen unabhängig von der Kerngewinnung durch die Bohrung.
Während der Ahlat-Rücken die Entwicklung des tiefen Seebeckens reflektiert, wurden durch die Bohrung im Nordbecken ufernahe, proximale vulkanogene Sedimente erfasst. Die geringere Wassertiefe (245 m im Gegensatz zu 365 m am Ahlat-Rücken) führt auch zu einer höheren Sensitivität in Bezug auf Seespiegelschwankungen. Das Altersmodell und die Korrelation zum Ahlat-Rücken verdeutlichen, dass das 145 m lange Nordbeckenprofil durch höhere Sedimentationsraten charakterisiert ist und die letzten ca. 90.000 Jahre umfasst (Cagatay et al.).
Porenwasser vom Ahlat-Rücken und vom Nordbecken aus frisch gequetschtem Kernmaterial wurden bereits im Basislabor während der Bohrarbeiten analysiert. Die Profile der pH-Werte und der Salinität reflektieren eine hydro-geochemische Entwicklung von einem pH-neutralen Süßwassersee zu einem salinen, hochalkalischen Sodasee. Tomonaga et al. beprobten darüber hinaus zum ersten Mal lange ICDP-Sedimentkerne für Edelgas-Analysen in den Porenwässern. Die Edelgasdaten werden im Kontext der Helium-Produktion, des Transports und Emanation aus der festen Erde sowie in Hinblick auf Veränderungen der vergangenen Umweltbedingungen (Seevolumen, Seespiegelschwankungen, Salinitätsveränderungen) interpretiert.
Die Beiträge des PALEOVAN-Sonderbandes demonstrieren, dass die Sedimentfolge des Vansees ein hervorragendes paläoökologisches und paläoklimatologisches Archiv darstellt, die verdeutlicht, wie die terrestrische Umwelt auf Veränderungen der Atmosphäre, des Ozeans und des globalen Eisvolumens reagieren. Der interdisziplinäre Ansatz bei der Untersuchung der Vanseesedimente ermöglicht somit Einsichten in die Wechselbeziehungen zwischen Geo- und Biosphäre während abrupter Klimaveränderungen. Der Ansatz verdeutlicht aber auch unterschiedliche Reaktionen bzw. Reaktionsgeschwindigkeiten der verschiedenen biotischen und abiotischen Parameter, die als Proxydaten verwendet wurden. Der lange und teilweise jährlich geschichtete Sedimentrekord vom Vansee ist deshalb ein Schlüsselarchiv für das Paläoklima des Quartärs im östlichen Mittelmeerraum. Die geochronologische Präzision auf einer Skala zwischen Jahrtausend bis jährlich erlaubt nicht nur Vergleiche mit der astronomischen Zyklizität, sondern auch mit Klimaevents, die höhere Frequenzen als die Milankovitch-Zyklen aufweisen, wie z.B. die Dansgaard-Oeschger-Ereignisse. Der aus dem Vansee gewonnene Paläoklimarekord umfasst mit 600.000 Jahren eine viel längere Periode innerhalb des Quartärs, als alle bislang bekannten kontinentalen Profile im Nahen Osten.
Der PALEOVAN-Sonderband ist in der Zeitschrift “Quaternary Science Reviews”, Band 104 erschienen: Thomas Litt, Flavio Anselmetti (eds) (2014): Results from the PALEOVAN drilling project: A 600'000 years long continental archive in the Near East.
Thomas Litt (Bonn)