Der Vielzahl von sehr guten, marinen Profilen stehen nur wenige kontinentale Archive gegenüber, die geeignet sind, die jüngere Erdgeschichte hochauflösend zu rekonstruieren. Ein solches Archiv ist der Van-See im Südosten Anatoliens (Türkei). Er ist der viertgrößte Terminal-See und liegt auf 1.647 m ü. M. auf dem Ostanatolischen Plateau nahe der Kollisionszone von Afro-Arabischer und Eurasiatischer Platte. Der max. Durchmesser des Van-Sees beträgt 130 km bei einer Wassertiefe von über 450 m. Das Seewasser ist alkalisch (pH ~ 9,8) mit einem Salzgehalt von ~ 2,14 %. Im Süden ist der See durch die Ausläufer des Bitlis-Massivs begrenzt. Die Vulkane Nemrut, Süphan und Tendürek prägen das West- und Nordufer des Sees. Klimatisch betrachtet liegt Ost-Anatolien heute im Einflussbereich von Nordatlantischer Oszillation (NAO), Sibirischen Hochdruckzellen und Ausläufern des Monsuns.
Unter der wissenschaftlichen Leitung von Thomas Litt (Bonn), Michael Sturm und Rolf Kipfer (Zürich), Sebastian Krastel-Gudegast (Kiel), Namik Cagatay (Istanbul) und Sefer Örcen (Van) begannen im Jahre 2004 Voruntersuchungen, deren Ergebnisse 2007 zu einem positiv beschiedenen Antrag für eine umfangreiche Bohrkampagne an das International Continental Scientific Drilling Program (ICDP) führten. Die Finanzierung des Projektes wurde durch den Tübitak, den SNF, die DFG und das ICDP sichergestellt. Die wichtigsten Ziele dieser Kampagne waren die Gewinnung von Sediment-Bohrkernen zur Untersuchung der Dynamik der Seespiegelschwankungen (Niederschläge/Evaporation) und der hydrogeologischen Entwicklung des Van-Sees, die zeitliche, räumliche und geochemische Entwicklung des Vulkanismus anhand zahlreicher Tephralagen, die Analyse der Edelgase aus dem Erdmantel und der kontinentalen Kruste und die Erforschung der Vegetations- und Klimageschichte anhand Palynofloren und anderer Biomarker.
Unter der technischen Leitung von DOSECC (Drilling, Observation and Sampling of the Earth's Continental Crust; Salt Lake City, USA) fand im Juli und August 2010 die Bohrkampagne in Anatolien statt. Dabei kam erstmalig ein neues Deep Lake Drilling System (DLDS) zum Einsatz (Abb. 1). Die Konstruktion dieser neuen Plattform war durch die große Wassertiefe des Van-Sees und die geplanten Bohrtiefen notwendig geworden. Im 'Northern Basin' (NB) und auf dem 'Ahlat Ridge' (AR) konnten in mehreren Parallel-Bohrungen insgesamt rund 800 m Bohrkerne gewonnen werden. Die Vollständigkeit der gewonnenen Sedimente liegt bei 91 % (AR) und 71 % (NB). Parallel zum Bohrfortschritt erfolgten petrophysikalische und geochemische Loggings ausgewählter Bohrlöcher sowie erste Untersuchungen an core-catcher-Proben.
Nach Ende der Kampagne wurden die Kerne nach Deutschland gebracht und im IODP-Bohrkernlager (BCR) an der Universität Bremen (MARUM) eingelagert. Dieses Institut bietet optimale technische und räumliche Voraussetzungen zur Bearbeitung von so vielen Bohrkernen (Öffnung, Bilddokumentation, Röntgenfluoreszenz (XRF), Kernbeschreibung und Probennahme). Die Präparation, Dokumentation und Probennahme fand im Frühjahr 2011 statt. Gleichzeitig wurde an den verschiedenen Kernen des 'Ahlat Ridges' ein lückenloses Kompositprofil (220 m Länge) festgelegt. Proben zur Analyse der Paläomagnetik, der Sedimentologie, der anorganischen Geochemie, der Konzentration von 'black carbon', der Palynoflora und weiterer Biomarker, der Isotopen und der Tephralagen wurden gezogen. Mittels Argon/Argon-Datierungen konnten Feldspäte aus diesen vulkanischen Schichten datiert werden. Zusammen mit den XRF-Daten und ersten Pollenanalysen zeigte sich, dass das Profil vom 'Ahlat Ridge' ca. 500.000 Jahre Erdgeschichte umfasst. Abschnitte mit jahreszeitlich laminierten Sedimenten (Abb. 2) einschl. höheren Anteilen wärmeliebender Florenelemente in der Palynoflora erlauben eine vorläufige Untergliederung in drei bis vier Interglazial-Zyklen (MIS 5, 7, 9 & 11 oder 13). Blaugraue, glaziale Sedimente (Abb. 2) zeichnen sich hingegen durch das Fehlen von Warven und die Dominanz von Steppen-Elementen in der Palynoflora aus. Die Porenwasser-Analysen sowie das Auftreten von Süßwasser-Mollusken an der Basis des AR-Kerns dokumentieren die Paläoökologie während der Initial-Phase des Van-Sees. Die Tephren (ca. 300 Lagen) in den Bohrkernen lassen sich zum Teil mit bereits datierten pyroklastischen Abfolgen an Land parallelisieren. Deformierte Sedimente und Seismoturbidite geben Hinweise auf die Erdbebengeschichte im seismisch extrem aktiven Anatolien. Vor dem Hintergrund des starken Bebens am 23. Oktober 2011 nördlich der Stadt Van gewinnt diese Fragestellung besondere Bedeutung. Bei einem Workshop im September 2011 wurden erste Untersuchungsergebnisse vorgestellt und weitere Kooperationen verabredet. Weiteres Ziel ist die hochauflösende Analyse des Ahlat Ridge-Bohrkerns im Vergleich mit den Kernen des Northern Basins und ausgewählten Profilen an Land.
Weitere Informationen: www.icdp-online.org und www.paleovan.info
Georg Heumann (Bonn) & PALEOVAN-Arbeitsgruppe