Helmut Müller wurde am 20. Juli 1924 in Trautenau, Sudetenland geboren. Sein Interesse für Pflanzen und Kleintiere seit früher Kindheit bereitete den Pfad für Studium und Leben als Biologe. Seine ungewöhnlichen Schulkenntnisse in Mathematik und Physik halfen ihm zunächst den Krieg als Ausbilder für Bordfunker bei der Luftwaffe mit Glück zu überleben. Sie schufen ihm später den weiten Horizont als interdisziplinär forschendem Naturwissenschaftler.
Nachdem er die russische Kriegsgefangenschaft knapp lebend überstanden hatte, begann er das Studium der Biologie im Westen, an den Universitäten Göttingen, Freiburg und Tübingen, finanziert vom
Lohn als Maurer, Gießerei-Arbeiter und Holzhacker. Die Proben für die vegetationsgeschichtliche Doktorarbeit bei Franz Firbas, Göttingen, beschaffte er sich bei illegalen Grenzgängen in die
sowjetisch besetzte Zone. Die Arbeit erschien in der Leopoldina, Halle. Das anschließende Stipendium in den USA hatte erneut die Palynologie von Seeablagerungen zum Gegenstand.
Als Geobotaniker, angestellt beim Amt für Bodenforschung, der heutigen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, hat Helmut Müller alsbald mit der Erforschung der norddeutschen
Interglaziale begonnen, die er mit der ihm eigenen Beharrlichkeit und außerordentlichen Arbeitskraft mit ständig wachsender zeitlicher Auflösung vorwärts trieb.
Seine Abstellung zur Petrobras/Brasilien führte den jungen Palynologen in ein neues Arbeitsfeld. Mit palynologischen Methoden, die er innovativ fortentwickelte, erarbeitete er in zwei insgesamt
sieben-jährigen Aufenthalten für die brasilianische Erdölindustrie die Biostratigraphie des Reconcavo-Beckens. Mit längeren Unterbrechungen hat Helmut Müller bis zu seiner Pensionierung immer
wieder Aufgaben für die Erdölindustrie wahrgenommen, die ihn für Jahre oder Monate nach Peru, Burma und Pakistan führten. Er hat für Erdölfirmen Proben aus Nigeria oder für Auslandsmissionen aus
aller Welt zuhause, in der BGR, bearbeitet.
Mit seinen Untersuchungen der norddeutschen Interglaziale hat Helmut Müller umstürzend Neues geschaffen und war damit oft den Kollegen um Jahre voraus: als er 1974 mit Zählungen von
Jahresschichten die Dauer des Eem in Bispingen mit 10-12000 Jahren bezifferte, erntete er Spott bis ihm später britische Meeresgeologen beisprangen. Nicht anders erging es ihm zunächst mit dem
Holstein- und dem Rhume-Interglazial, deren Dauern er ebenfalls mit Jahresschichten bestimmte. Darüber hinaus gab er beiden Interglazialen “typische Gesichter”, indem er sie in höchster
zeitlicher Auflösung untersuchte und dabei die ständig wechselnden Zusammensetzungen ihrer Wälder erkannte und paläoklimatisch interpretierte, mit teilweise abrupten und extremen Klimaeinbrüchen,
die sie quer über Europa kennzeichnen. Die Paläoklimatologie des Mittel- und Jungquartärs verdankt ihm wesentliche Eckpunkte. Er hat viele Bohrungen des Salzstockes Gorleben palynologisch datiert
und damit ihm, dem Wandel seiner Form und seiner Landschaft im Quartär einen soliden zeitlichen Rahmen geschaffen. Er hat nach seiner Pensionierung mit Kollegen an der Eingliederung der
Interglaziale in die marinen Isotopenstufen gearbeitet; wieder mit Ergebnissen, die vielen noch unpassend scheinen. Seine Arbeiten mit holozänen Seeablagerungen führten zu unglaublich präzisen
Einstufungen und detaillierten Ergebnissen zu Umwelt- und Klimaänderungen. Seine frühen Entdeckungen von Art und Ausmaß der anthropogenen Veränderungen des Waldes bilden Meilensteine der
Archäologie. Die Verleihung des Bundesverdienstordens, der Albrecht-Penck-Medaille und des Hans-Joachim-Martini-Preises waren Anerkennung und Würdigung seines lebenslangen Schaffens.
Er hat gerne im Team gearbeitet; hierarchische Rangspiele waren ihm fremd. Als ideenreicher und anregender, weiter treibender und ansteckend begeisternder, dabei bescheidener Kollege mit breiter
Allgemeinbildung und umfassender Kenntnis in vielen naturwissenschaftlichen Disziplinen teilte er seine neuesten Ergebnisse mit jedem, ohne je nach einer Gegenleistung zu fragen oder Ansprüche zu
stellen.
Helmut Müller ist am 18. Juni 2008 in Hannover gestorben. Wir werden den ideenreichen, freundlichen und allzeit hilfsbereiten Kollegen und die anregenden Diskussionen mit unserem Freund
vermissen.
Josef Merkt, Herbertingen